‚Das Auge denkt, dass das Licht weiß ist, dabei hat es in Wirklichkeit ganz unterschiedliche Farben – grün, gelb, orange …‘. Mit seinen Ausführungen über Lichtwirkung und vielem mehr schaffte es der Fotograf Jens Komossa, seine Zuhörer in der Werkstatt ‚Zeit nehmen und geben‘ über Stunden zu faszinieren.
Sarah Thelen
Im Katalog zum Aenne Biermann Preis
Räume sind seit Jahren Thema von Jens Komossa. Bewußt verzichtet er auf Menschen. Ihn fasziniert die Beschreibung der verlassenen Orte, die er als Bühne wahrnimmt. Seine Bilder entstehen immer nachts, und er vertraut den Räumen und Dingen, die Rückschlüsse über die abwesenden Menschen geben.
In den Wandbildern nimmt er den Raum als Anlaß, ihn neu zu interpretieren. Durch das vorhandene und das von außen einfallende Licht, das sich im Lauf des stundenlangen Belichtens ändert, entstehen neue Räume, die sich von ihren Bewohnern entfernt haben.
Für ihn ist es ein kalkuliertes Spiel, aber auch ein Spiel mit dem Zufall. Dies kann nur Fotografie – nämlich Zeit in einem winzigen Moment festzuhalten. Oder Zeit so auszudehnen, daß Bilder entstehen, die uns ohne dieses Medium nie erreicht hätten.
Ute Mahler
Frankfurter Rundschau
«Focus auf Jens Komossa»
Die Tagesschau können sie vergessen, wenn Jens Komossa zu Ihnen nach Hause kommt. Und das Aktuelle Sportstudio wahrscheinlich auch. Das kann nämlich dauern, wenn der
Komossa erstmal seine Kamera auspackt, sie genau vor Ihrem Fernseher aufbaut, die Menschen aus dem Zimmer scheucht, alles übrige Licht löscht und dann auf den
Auslöser drückt. « Ein paar Stunden Belichtungszeit brauche ich manchmal schon», sagt der Fotograf, denn dieses irre blaue Fernsehlicht ist ja nicht das hellste, und bis dann der ganze Raum damit ausgeleuchtet ist … Aber genau auf dieses
Dämmerlicht kommt es Jens Komossa an. Schließlich heißt seine Fotoserie «Fernsehzimmer».
Und dann hocken sie irgendwo im Esszimmer nebenan oder in einer Ecke im Fernsehraum, die das Weitwinkel-Objektiv nicht erwischt, und schauen gemeinsam mit dem Komossa und einer Flasche Rotwein dem Fotoapparat und dem Fernsehapparat bei der Arbeit zu. Ist ja auch ganz meditativ, «ein bisschen wie ins Kaminfeuer zu starren», findet der Fotograf. «Einfach gedankenverloren davorsitzen, das hat auch was Beruhigendes.» Manchmal aber auch was Nervtötendes. «Das Fernsehen ist doch eine Form von Gehirnwäsche, finden sie nicht?», fragt der Komossa Sie dann womöglich. Aber das meint er nicht unbedingt negativ. Manchmal lässt man sich eben auch gern mal das Gehirn waschen, findet er. «Wenn zu viel Chaos im Kopf ist, dann
gucke ich halt einen richtigen Scheiß im Fernsehen, so eine Ami-Serie, dann ist Tabula rasa.»
Dass er sie und Ihre Familie nicht mit aufs Bild nimmt, wie sie vor dem Fernseher sitzen, dürfen sie nicht persönlich sehen. «Ich find` Menschen klasse, auch interessant», versichert er. Aber menschenleere Räume haben es ihm nun mal angetan.
Spätestens seit seinem Umzug nach Berlin, 1994 war das. Seither geistert er als professioneller Nachtschwärmer durch die Quartiere. «Wenn die Menschen weg sind, wird der Raum zur Bühne», erklärt er. Und außerdem: «Nachts kann ich in Ruhe arbeiten.»
Vielleicht leuchtet eine Straßenlaterne in ihr Fernsehzimmerfenster hinein. Das geht schon in Ordnung – die Lichter der Nacht mag Komossa besonders. Das kühle
Licht der Reklame-Leuchten, das weiche Licht der Gaslaternen, das orange Licht aus den Wohnzimmern oder eben das blaue Flackern der Bildschirme. Die Serie «Berliner
Zimmer» ist daraus entstanden: Blicke aus dem Fenster ins Licht der Straße. Und jetzt die «Fernsehzimmer». Die läßt der Fotograf ganz im Licht der Apparate leuchten. Bis nichts mehr flackert, sondern alles schön hell ausgeleuchtet ist.
Wenn sie das irritiert, dann grinst Komossa wahrscheinlich zufrieden. «So ein Moment der Irritation, also das man nicht genau sagen kann, ist das jetzt bei Tag oder bei Nacht aufgenommen» – das fasziniert ihn.
Nicht, dass er Ihnen das Fernsehen verleiden will. Der Apparat ist für Ihn nur «wie eine Pforte, um irgendwo reinzukommen». Genau wie früher. Davon erzählt er
vielleicht auch, während gerade der –zigste Werbeblock über Ihren Bildschirm rauscht und der Fotoapparat immer noch das gleiche Bild aufnimmt. Früher, also am Niederrhein, im Hifi-Laden von Vater Komossa; die Söhne immer ´mal als Hiwis dabei. Schleppten, reparierte oder auch neue Fernsehgeräte in anderer Leute Wohnungen. Und Schüler Jens auf einmal «in ganz fremden Lebenswelten», schauend, staunend. In
denen schaut er sich auch heute noch gerne um, nur eben mit Fotoapparat.
So, und jetzt können sie die Kiste abschalten. Warum? Machen sie es wie Jens Komossa. Der schaut auch lieber bei anderen Leuten fern. Ist wesentlich spannender.
two
TIP Berlin Magazin
Berlin Profil – Langsam, aber sicher
Der Fotograf Jens Komossa geht vor allem nachts
seinem erhellenden Handwerk nach
Der Fotograf Jens Komossa entwickelte sich in schlüssigen Etappenschritten
vom Industrie- und Werbefotografen zum Fotokünstler mit eigenwilligen Projekten. Nach
abgebrochener Papierhandschöpferei und Druckerlehre ließ er sich 1985 bis ´89 bei der
Thyssen Stahl AG zum Industrie- und Werbefotografen ausbilden, um hernach
Kommunikationsdesign an der Uni Essen zu studieren. Nach Arbeitsaufenthalten in Paris 1990
und 1992 kam er 1994 nach Berlin, wo er seinen Lebensunterhalt weiter als Industrie- und
Werbefotograf bestreitet und nebenher und hauptsächlich freie Kunstprojekte der
verschiedensten Gattungen realisiert: Vom Text «Ruhe ermessen» (1994) über «Arbeiten mit
Text und Bild» («Café Huthmacher» 1995, «Erwin und Emil» 1996, «Berlinchen» 1997) und
einVideo «Richard» mit Texten von Botho Strauß bis hin zur erfolgreichen Teilnahme am Finale
vom Künstlerwettbewerb Alexanderplatz U2 (bei der er eine Sitzbank-Installation vorschlug)
erstreckt sich Jens Komossas Betätigungsfeld – inklusive Teilnahme an einem
Skulpturenwettbewerb in Holland, wo er zu hoch hängende Schaukeln im Park, motorisch
angetrieben, präsentierte.
Doch seit seiner Diplomarbeit «Berliner Zimmer» 1996 für die Essener Uni verdichtet sich Jens
Komossas Thematik, und es zeichnet sich ein inhaltlicher Hauptstrang ab: Er entdeckte die
Nacht für sich, speziell die Berliner Nacht, deren Lichter und verlassene Räume er in seinen
Bildern als Bühne inszeniert. «Räume in Berlin» fotografiert er seit 1996, stets bei Nacht. Er
kultivierte ein für seine Branche ungewöhnliches Zeitverständnis, indem er Lichtquellen wie TVSchirme
in menschenleeren Wohnzimmern bei stundenlangen Belichtungszeiten einsetzt.
«Interessant ist», findet er selber, «dass der Raum, der mitgestaltet im dauerhaften Abgleich mit
dem vom Fernseher ausgestrahlten Ideen, nun auch formal in sein Licht getaucht wird. Die
Ausstrahlungen, die unsere Umwelt und simulierten Erfahrungen prägen, erhellen sie nun auch.
Die Kamera fängt den vom jeweiligen Nutzer persönlich inszenierten Raum ein.» In der
Werbung fotografiere man schnell viel und effizient. Und er sei froh, wenn er ein Bild pro Nacht
belichten kann. Allerdings spürt dessen Betrachter seltsam viel; nicht nur von der
inhaltsschwanger exotischen Beleuchtungstechnik.
Die Methode spricht Bände, und der Weg ist das Ziel: Während seiner extrem langen
Belichtungsorgien pflegt Jens Komossa sich mit den nicht sichtbar portraitierten Objekten seiner
Schaulust verbal auseinander zu setzen. Kommunikation, Interaktion und ein Weg zu leben. So
denkt Jens Komossa beispielsweise darüber
nach, ein Nudel-Kochbuch zu illustrieren mit Schnappschüssen seiner Nudel-Orgien unter
Freunden in der eigenen Küche, nachts natürlich und spärlich-lang belichtet.
Es gibt Hinweise, dass sich derlei vage Ideen zu konkreten Projekten verdichten.
Ausstellungsbeteiligungen im Kunst- und Gewerbemuseum sowie in der Handelskammer in
Hamburg, bei Photography Now in Berlin und Köln im Pixelpark, bei der Rampe 003 an der
Volksbühne und in der Städtischen Galerie in Pankow im Mai 2001 brachten ihm
Presseresonanz (etwa in der «Zeit» und der «Frankfurter Rundschau»). Neuerdings fokussiert
Jens Komossa sich auf ein Buch-Projekt, das er jüngst auf der Frankfurter Buchmesse mit dem
Berliner Verlagshaus Braun vereinbarte: «Räume der Macht» in bewährt stringenter Manier auf
den vordergründig unsichtbaren Spuren, die gewichtige Persönlichkeiten in die Aura der von
Ihnen belebten Räume eingruben.
Eine stringente Fortentwicklung und inhaltliche Verdichtung. Nach den Fernseh- und
Computerzimmern nun eine Serie von Bildern nicht länger willkürlich gewählter Zufallsräume
und Bewohner. Wird es in erster Linie um historische Räume gehen und die Persönlichkeiten
die sie bewohnten, also eine posthume Bestandsaufnahme einer Aura – Hitlers Geist in der
Führerbunker-Ruine? No comment, alles streng geheim. Noch mag Jens Komossa nichts
verraten. Sein Plakat zur Grimme-Preisverleihung 2001 und ein Bahn-Nachtauftrag als letzte
Referenzen: Der Mann hat viel zu tun, und das ist auch gut so.
Michael Simbruk
Photographie murale
In March, the Berlin-based artist Jens Komossa made his first visit to Forcalquier. Enchanted by the ancient Provencal capital, he captured his impressions in a series of nocturnal photographs using only available light and with exposure times lasting as many as six hours. Avoiding the more touristic attractions, he sought out details that seemed to distill the genius loci of the town. At the same time, he began to produce indoor studies inspired by the architecture of a house in the rue des Cordeliers. In the course of subsequent visits, these enigmatic interiors would grow into a remarkable series entitled Photographie murale.
The results are far removed from the glamorous, semi-documentary effects of interior-decorating magazines. No furnishings or ornamentation are visible, and with few exceptions, the explicit subject of the photos is unidentifiable; indeed, most compositions can be rotated with no loss of “readability.” One recognizes, at most, a corner, a supporting beam, an expanse of flaking paint, the glowing silhouette cast by a window. The long exposure times reveal unexpected textures and tonalities that often resemble those of ancient silk. The familiar cliché that the photographer “paints” with light acquires new validity here.
Komossa made his first night-photos while studying at the prestigious Folkwang School in Essen in the 1990s. During travels through France during his student days, he was fascinated by the green and orange glow of neon signs and streetlamps in sleeping villages and towns, which could only be accurately recorded through long-term exposures. In the same way, he documented the decrepit charm of the low-budget hotel rooms where he rested during his journeys. The streets of Berlin soon followed suit, as did the darkened apartments of friends.
Berlin Rooms, the series for which Komossa first became known, recorded commonplace nighttime views from apartment windows. TV Rooms from Paris, New York and Berlin soon followed, for which the sole source of illumination is an unseen television screen. Nothing is prettified here: rumpled sheets, discarded clothing and newspapers and empty bottles remain just as the occupants left them. The images are intimate yet eerie, offering a familiar domestic reality in unfamiliar guise. Outdoors, too, commonplace urban sceneries take on an oddly surrealist air, like stills from a David Lynch film.
Komossa’s recent work has grown increasingly abstract – a tendency that finds its most eloquent expression in the artist’s reductionist Photographie murale. These are still, introspective studies that seem to exude their own inner radiance. “If you only make one picture in an entire night,” Komossa maintains, “a special kind of concentration becomes possible, as in archery.” The viewer, too, is encouraged to share this enriched moment.
by David Galloway / Art News